Projektionen - Kunst oder Technik?
Sabine Weißinger 

Als die Einladung kam, am Beispiel unserer eigenen Erfahrungen einen Beitrag zu dieser Ausgabe der BTR mit dem Titel "Kunst der Technik" zu leisten, war mir das Editorial des Hefts 1/01 noch in Erinnerung. Es handelt von Vorbehalten gegenüber dem Einsatz von Technik im allgemeinen und von neuer Technik insbesondere in der Kunst, zitiert Entgegnungen von Reformern aus den 20er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Offenkundig haben wir es mit einem Dauerbrenner zu tun. Wer will, kann ihn quer durch die menschliche Kulturgeschichte hindurch verfolgen. Keine Sorge: Ich will nicht. Einen Aspekt der Diskussion aber, der schon in meine Biografie hineinspielt, möchte ich doch kurz streifen. Mitte der 70er Jahre erschien ein Buch des Stuttgarter Galeristen Hans-Jürgen Müller mit dem Titel "Kunst kommt nicht von Können". Es war ein engagiertes Plädoyer für die moderne und zeitgenössische Kunst, für Kreativität, (Er)findung neuer Perspektiven, künstlerischer Sprachen, Fortschritt auch der Kunst im Gleichschritt mit Kultur und Zivilisation. Das Können, dem als Qualitätskriterium für Kunst hier eine Absage erteilt wurde, meinte die Virtuosität in der handwerkliche Beherrschung althergebrachter künstlerischer Techniken. Denn: "Über die Hürden der handwerklichen Schwierigkeit einer guten Kopie springt noch immer der röhrende Hirsch triumphierend in die Häuser von Staatsoberhäuptern und Kunstbanausen". (Müller, ibi. S. 58). Der Inhalt des Buches erschöpft sich nun keineswegs in derlei Zuspitzungen. Sie können aber erklären, warum sich in der Kunstszene Haltungen bildeten, die eine intensive Auseinandersetzung mit künstlerischen Techniken, das Einüben mit dem Ziel der Beherrschung einer Technik, scheuten wie der Teufel das Weihwasser. Das konzeptionelle, zu einem bestimmten Zeitpunkt durchaus aktuelle und provokative Statement des bewussten Dilettierens streute aus in die Seichtheit der Angst so mancher, sie könnten durch Fingerübungen oder gar Freude am technischen Material oder Gerät die Chance zur Aufnahme in den Kreis der wahren Künstler verspielen. Schließlich lag es nicht fern, dass sich diese kunstspezifische Skepsis gegenüber Technik mit jenem allgemeinen Vorbehalt gegen Technologie paarte, der im gesellschaftspolitischen Zusammenhang durchaus auch als fortschrittlich galt und gilt. Darf, wer sich diesen Vorbehalten anschließt, nach neuen Technologien greifen, sie für die Kunst nutzbar machen? Sofern es passiert, macht sich Erleichterung breit, sobald der Vernissageredner dem Werk natürlich kritische Auseinandersetzung mit der Technologie attestiert. 
Das Maßder Verunsicherung, des Verlangens nach Absolution oder Kenntlichmachung des Werkes durch formale Eigenheiten steigt noch, wenn die gewählte Technik schon längst Anwendung gefunden hat in Bereichen, mit denen man ungern verwechselt werden möchte. Je länger sich diese Produktionsbereiche entfalten konnten, desto geringer scheint die Chance der infrage stehenden Technik auf Akzeptanz als künstlerische Technik. Das Schlupfloch, durch das sie dann am ehesten noch den Weg ins Kunstwerk findet, ist ihre Verwendung als Repräsentant der thematisierten Alltagskultur - damit keine Missverständnisse aufkommen gerne ironisch gebrochen und in einer ihrer unbeholfenen oder klischeehaften Versionen. Die sich neuerlich dem Trash zuwendende Kunstszene wagt sich hier weiter aufs Glatteis vor, wohin sie dieser Ausflug führen wird, ist noch offen.

Die Anfänge: Wie eine Diashow...

Nun - lassen wir es mit diesem kleinen Beobachtungs-Ausflug in das Feld von Tendenzen, Bewertungen, vermeintlichen oder wirklichen? Fallstricken bewenden. Glücklicherweise raubt uns das Nachdenken über unsere eigene Position in diesem Geflecht der Meinungen und Überzeugungen selten den nächtlichen Schlaf. Dieses Privileg bleibt im Wesentlichen unserer Arbeit selbst, den heißen Phasen von Projekten überlassen. Wenden wir uns also diesen zu. 
Auf die Frage, was wir - Friedrich Förster und ich als Team CASA MAGICA - derzeit vor allem machen, antworte ich gelegentlich: Diashows. Nicht selten, dass das Gegenüber verlegen so schnell wie möglich ein anderes Thema oder das Weite sucht. Es sei denn, ich habe einen der zahlreichen begeisterten Besucher jener Veranstaltungen getroffen, in denen die heroische Bezwingung von Berggipfeln, Wüsten und Wildbächen, vom sympathischen Helden selbst kommentiert, in Bild und Ton dargeboten wird. Nein - nicht ganz so. Dafür - und das tröstet - sind die Projektoren noch viel größer und es gibt nicht nur Einzeldias, sondern auch Filmstreifen, die vor dem Objektiv vorbeigezogen werden, mitunter gleich zwei auf einmal, und das in verschiedene Richtungen und rotieren kann das Gerät auch: Wow! Die Angabe von Maßen, Gewichten, Strombedarf und derlei mehr beflügelt dann leicht die Phantasie der neuen Generation von Bergliebhabern: Im Fieber der Vorbereitungen zum Jahrtausendwechsel streifte auch uns eine Lawine von Anfragen, ob wir nicht diesen oder jenen Alpengipfel, am besten ganze Bergketten, mit unseren Laserkanonen einleuchten könnten. Nein, und nein danke. Wir sind dann ganz in der Nähe und mit unseren Großbildprojektoren in der Stadt geblieben.
Es waren nicht von Anfang an Großbildprojektoren, mit denen Förster, lang ehe ich dazukam, hantierte. Seine Dias erblickten - oft erst nach langen Prozessen in der Dunkelkammer - das Licht von Kleinbildprojektoren. 
Nach einer Einreichung zu einem Wettbewerb zu Kunst im Öffentlichen Raum, die bei der Jury wegen angeblicher Unglaubwürdigkeit der Simulation durchfiel, war ein weiterer praktischer Anstoß zu dem, was wir inzwischen mit dem Begriff "Architekturprojektion" zu umschreiben versuchen, eine Ausstellung von Stahlskulpturen in der Galerie gleich neben Försters Atelier. Noch während des Eröffnungsabends erschienen die Skulpturen, in leuchtende Silhouetten gewandelt, auf Asphalt und Außenwänden des Kulturzentrum-Areals. Die spontane Aktion ließ zwei Wünsche in Sachen Projektionstechnik unbefriedigt. Der erste war der nach lichtstärkeren Projektoren. Er war im Prinzip leicht zu befriedigen. Großbildprojektoren gab es und die Herstellerfirmen waren eben dabei, sie mit noch leistungsstärkeren Lampen auszustatten. Es wäre aber doch auch - so der zweite Wunsch - schön, wenn man das Zusammenspiel von Bild und gegebener Architektur nicht nur annähernd, sondern exakt beherrschen könnte. Hier erbrachte die Recherche nichts wirklich befriedigendes und Förster aktivierte seine Kenntnisse in Sachen Optik, Photographie, Mathematik, stürzte sich aus nun endgültig gegebenem Anlass ins Abenteuer der digitalen Bildbearbeitung und erfand sich seine Lösung. Dem darauf folgende Tatendrang stellten sich allerdings auch so manche Hemmnisse entgegen.
Großbildprojektoren waren (und sind) ein vergleichsweise kostspieliges Vergnügen und, wollte man an öffentlichen Orten aktiv werden, mussten mehr denn sonst Leute von einem Vorhaben überzeugt werden, das sie sich nicht so recht vorstellen, ja auch noch nicht sehen konnten. Heute, nachdem es Dokumentationen von Referenzprojekten gibt, wiegt dieser Aspekt nicht mehr so schwer. Was bleibt ist eine große Diskrepanz in der Eindrücklichkeit zwischen einem Dokumentationsfoto- oder Video und dem realen Erlebnis. Aus einer anderen Perspektive betrachtet macht aber gerade dieses auch den Reiz der Sache aus. Wir setzen darauf, dass es außer uns auch noch eine Weile andere Menschen gibt, die Gestaltungen im realen Raum und des realen Raumes interessant und anregend finden. 
Das heißt nicht, dass wir unser Publikum nicht auch in Fiktionen entführen. Gerade die Fähigkeit, bestehende Strukturen präzise ins Visier zu nehmen, ermöglicht es uns, ihren gewohnten Anblick erstaunlich zu verwandeln. Freilich können und wollen wir nicht zaubern - bezaubern manchmal schon. Der Dialog mit dem Bestehenden, einem Haus, einem Platz, bleibt das Grundmotiv dieser Interventionen mittels Projektion. Die unmittelbare formale Auseinandersetzung mit unserem 'Projektionsgrund' überlagert sich dann häufig mit einem Thema. Mitunter ist das Thema der Ort selbst, seine Geschichte, seine Funktion, seine mögliche Zukunft. Das hängt vom Anlass ab und wozu er uns inspiriert.

Zum Beispiel: Italienische Piazza in Wolfsburg - projiziert

Ein Beispiel aus dem vergangenen Herbst. Das italienische Kulturinstitut Wolfsburg veranstaltete ein Kulturfest auf dem Hollerplatz. Dieser Platz, über dessen städtebaulichen Qualitäten bzw. Mängel sich die Wolfsburger stundenlang erregen, sobald das Stichwort gegeben ist, wird zunächst von zwei, sich gegenüberstehenden Bauten flankiert, die unterschiedlicher nicht sein könnten: dem Kulturhaus Aaltos und dem Kunstmuseum der Architekten Schweger und Partner. Während die dritte Seite durch eine Baumreihe gnädig in den Hintergrund rückt, wird die vierte Seite geschlossen von einem Verwaltungsbau, der bestenfalls Gleichgültigkeit auslöst. Entgegen der sonst häufigen Erfahrung, dass man uns für schön gehaltene Gebäude, Schlösser und Villen, als Spielfläche anempfiehlt, war hier also zur Abwechslung einmal wieder das Gegenteil der Fall. Die Chefin des italienischen Kulturinstitutes wünschte sich das Flair einer italienischen Piazza. Eine Studentengruppe um Prof. Gerhard Auer von der TU Braunschweig gestaltete ohne jeden Anklang an die Bierzeltkultur die temporären Bauten und ein großes, in dunkelblauem Licht schimmerndes Wasserspiel. 
Unser Part war das besagte Gebäude. Es war Nacht, als ich es zum ersten Mal zu Gesicht bekam. Erfreulich war die Feststellung, dass es auch bei regulärer Straßenbeleuchtung ziemlich im Dunkeln lag. Das würde uns oder unserer Auftraggeberin Zeit und Nerven sparen bei den Debatten um die öffentliche Wegesicherheit und die Arbeitsbelastung der Stadtwerke-Nachtschicht. Was ich trotz relativer Finsternis auch gut sah: Das Gebäude würde es uns nicht einfach machen - wobei wir es uns ganz offen gehalten hatten, wie unsere Interpretation des Themas 'italienische Piazza' aussehen würde. 
Die Gebäude-Proportionierung war extrem horizontal und merkwürdig unausgewogen, die Fassade in ihrer Gliederung monoton, zudem aus viel Glas und einiger Metallverkleidung bestehend. Zum Glück entdeckte ich, dass alle Fenster mit hellen textilen außenliegenden Sonnenschutzrollos ausgestattet waren. Die musste man schließlich auch nachts herunterlassen können. Etwas beruhigt verschob ich weitere Betrachtungen auf den nächsten Tag. Das Schauen und Vermaßen erbrachte dann Erkenntnisse über die technischen Notwendigkeiten, unter die wir nach einiger Überlegung auch den Wunsch einreihten, die Glasflächen des Eingangsbereiches von außen mit Papierbögen abzukleben. Was sonst ein dunkles Loch gewesen wäre, bot sich dadurch als großes Bildfeld an, wobei wir die Verglasungsprofile bewusst sichtbar lassen wollten.
Festgelegt war nun die Projektionsfläche, die wir mithilfe von zwei Projektoren ausleuchten würden: der vom Platz aus hauptsächlich sichtbare Abschnitt des Gebäudes, eine in etwa symmetrische Umrahmung des eben genannten Bildfeldes. Als Hauptspielfläche für weitere komplexere Bildabschnitte boten sich die Sonnenschutzrollos an. Unsere Anpassungsmethode würde es erlauben, diese in Abgrenzung zu anderen Architekturabschnitten präzise zu beleuchten. Nun konnte es also um die Gestaltung der Bilder selbst gehen. Das begann wie meist mit einem Wechselspiel von Ideen, die vor dem inneren Auge erstehen, und dem Einsammeln von fotografischem Rohmaterial, das als Grundlage der Bildgestaltung digitalisiert im Computer gesammelt wird. Dort findet im wesentlichen die Arbeit am Objekt bzw. an den Dias statt. Ideen werden geprüft, weiterverfolgt, verworfen, abgewandelt. Die Software namens Photoshop ist das Instrument, das unsere Gestaltungsweise ganz entscheidend erleichtert. Mit den klassischen fotografischen Mitteln zu unseren Ergebnissen zu kommen, wäre in manchen Fällen beim bestem Willen nicht denkbar. In den seltensten Fällen gerät mehr als der Ausschnitt, ein Element einer Fotografie ins Bild, ästhetisch unbearbeitet bleibt eigentlich keines. Dass wir nach den allseits bekannten, typischen Photoshop-Kunstfilter-Effekten greifen, geschieht nur selten und nur dann, wenn sie uns inhaltlich dezidiert passend erscheinen. 
Für Wolfsburg entstanden so fünf Bilder. Da sie als atmosphärische Standbilder konzipiert waren, mußten sie sich in keine Ablaufkonzeption fügen, d.h. es gab keine feste Abfolge, Übergänge von einem zum anderen waren gestalterisch nicht zu berücksichtigen. Am ersten Abend des Kulturfestes waren zwei zu sehen, am zweiten Abend drei, am dritten Abend vier, am letzten Abend schließlich alle fünf.
Ein Bild entstand als Collage von Architekturelementen der Kirche San Miniato al Monte in Florenz. Interessanterweise reizte gerade diese Szenerie erst einen, am nächsten Abend schon zwei Ferraribesitzer zu einem Auftritt. Wo sie lieber nicht vorfahren wollten, war unser 'Hotel Mare Azzurro'. Die architektonische Struktur des Gebäudes hatte uns seine Verwandlung in ein typisches, abgenutztes 60er-Jahre Billighotel am Ferienstrand geradezu aufgedrängt. Ein weiteres Bild überzog das Gebäude mit Fassaden aus Cinqueterre, die Sonnenschutzrollos wurden zu Leinwänden für theatralische Auftrittsszenen aus der großen Welt des Filmes wie aus dem täglichen Leben der namenlos bleibenden. Es folgte eine Collage von Ausschnitten aus den Bildern eines sizilianischen Malers und eine eher düster-geheimnisvolle Farbfassung des Gebäudes mit silhouettenhaft-grafisch wirkenden Zypressen im Vordergrund. 
Erstaunlich, weil im Vorfeld gar nicht planbar, war das Zusammenspiel unseres Beitrages mit den Auftritten der Musiker und Theatergruppen, die sich unsere Illuminationen ganz unwillkürlich als Bühnenbild aneigneten. Was möglich gewesen wþre durch eine gemeinsam entwickelte Produktion, davon durfte man für die Zukunft träumen.

Ausblicke

Hin und wieder begegnen wir der mehr oder weniger offen ausgesprochenen Einschätzung, dass es wohl etwas einfallslos sei, sich über eine längere Zeit nur mit einer Technik zu befassen. Es riecht nach Handwerkerethos und "Schuster bleib bei deinem Leisten". Aus unserer Sicht mangelt es uns allerdings ganz und gar nicht an Einfällen. Je mehr wir uns mit Projektionen und digitaler Bildbearbeitung beschäftigen und uns den unterschiedlichsten Aufgaben stellen, desto vielfältigere Ideen geistern uns durchs Gehirn und drängen auf Umsetzung. Da technische Mittel und ästhetische Ergebnisse so eng miteinander in Verbindung stehen, bewirkt das fortgesetzte Experimentieren Weiterentwicklungswünsche nach beiden Seiten: einmal nach der Seite des visuellen Ausdrucks, das andere Mal nach der Seite der technischen Mittel. So ist nicht ausgeschlossen, dass wir die Entwicklungsstuben von Herstellerfirmen belagern oder unser Atelier zur Werkstatt für Modelle, Prototypenbau oder Softwareprogrammierung wird. 
Das war bei Förster früher noch viel mehr so: Damals Anfang der 70er Jahre, als er ausprobierte, was sich eigentlich mit so einem merkwürdigen Gerät wie einem Laser visuell machen ließe. Als er zum ersten Mal einen eng gebündelten Lichtstrahl über die Dþcher seiner Heimatstadt schickte, gingen Ufomeldungen bei der örtlichen Polizei ein. Inzwischen sieht man landauf landab zu jeder Betriebsfeier und in jeder Diskothek, die etwas auf sich hält, Lasershows, bei denen es auch uns die Schuhe auszieht. Wir haben unsere Laser-Wanderstiefel deshalb zur Zeit seltener zum Ausgang bereit. Aber darüber sollten wir ein andermal reden. Vielleicht ist bis dahin ja etwas Neues passiert...

 

Berichtigung:
Die Studentengruppe der TU Braunschweig wurde betreut von Prof. Gerhard Auer!
Wir bitten die falsche Namensangabe im Originaltext zu entschuldigen.