in: BTR Bühnentechnische
Rundschau 1/2004; S. 20 ff FÊTE DE LYON 2003
CASA MAGICA bringt Licht und Bild in Bewegung
Sogar der Oberbürgermeister
von Paris erschien am 8. Dezember dieses Jahres in Lyon. Das Festival hat sich
in wenigen Jahren einen internationalen Spitzenplatz unter ähnlichen Aktivitäten
anderer Städte erobert. 1998 gegründet und 2002 als Lyon 8 Décembre
Fête des Lumières benannt, verbindet es geschickt das Engagement
für qualitätvolle permanente Stadtbeleuchtung weit jenseits der puren
Notwendigkeiten mit der Funktion als stadträumliche Bühne temporärer
Lichtkunst.
Der Rückgriff auf die Tradition eines religiösen Festes zu Ehren der
Jungfrau Maria, bei dem am 8.Dezember Kerzen auf die Fensterbänke gestellt
werden, sichert dem Festival Popularität, ohne dass diese die programmatische
Forderung nach zeitgenössischer, frischer, mit den aktuellsten technischen
Medien experimentierenden Lichtkunst in Gefahr bringt.
Das inzwischen auf vier Tage ausgedehnte Festival lockt nicht nur Hunderttausende
von flanierenden Besuchern nach Lyon. De facto avanciert es unter Fachleuten
auch zum Tagungsort und Messeplatz, an dem man ausgiebig realisierte Projekte,
den Ernstfall also, unmittelbar betrachten kann.
Tissage Automatique
Die Einladung der künstlerischen Leiterin, Claire Peillod, uns mit einem
Projektvorschlag um die Teilnahme zu bewerben, enthielt eine konkrete Ortsvorgabe:
Place Saint-Jean. Dieser von der Westfassade der Kathedrale Sait-Jean dominierte
Platz sollte 2003 zum ersten mal mit einer der Hauptproduktionen des Fête
des Lumières bespielt werden.
Das generelle Thema des Jahres lautete: Licht und Bild in Bewegung, Spiel und
Interaktivität. Zumindest eines dieser Motive sollte also unser Konzept
bestimmen. Licht und Bild in Bewegung musste uns als unser wohlvertrautes
Medium natürlich sofort ins Auge springen. Eine animierte Großbildprojektion
bot ohne Zweifel die Möglichkeit, den öffentlichen urbanen Raum des
Platzes vor großem Publikum angemessen zu bespielen.
Wie aber sollten wir mit der Tatsache umgehen, dass unser technisches Mittel
sozusagen mit dem Thema in Eins fiel? Allein mit der Wahl des Mittels die Anforderungen
zu erfüllen, wäre unbefriedigend gewesen und hätte ein davon
unabhängiges Sujet leicht beliebig wirken lassen. So suchten wir nach einer
integrierenden Beziehung zwischen technischem Mittel, dadurch möglichen
visuellen Ereignissen, konkreten Bildinhalten und Assoziationen sowie dem Ort
des Geschehens. Das Wechselspiel von Überlegungen zu technischen Möglichkeiten,
zu Inhalten und kreativen Spielräumen führte uns zu Tissage
Automatique.
Platz und Kathedrale bilden das Herz des alten (Vieux) Lyon; hier begann der
Aufstieg der Stadt zu einem der bedeutendsten Zentren der Seidenweberei. Einerseits
eine der ältesten Kulturtechniken, wurde die Textilproduktion andererseits
zum Paradebeispiel für Industrialisierung, Mechanisierung und Automatisierung,
zum Symbol für die Dynamik technologischer und wissenschaftlicher Revolutionen.
In dieser Weise genereller und bis zur Gegenwart als gültig verstanden,
eröffnete uns unser Titel eine Vielfalt von Bild- und Aktionsmotiven auch
aus Bereichen jenseits des konkreten Feldes der Textilproduktion, wie Transportwesen,
Elektrik, Elektronik, Telekommunikation, Biotechnologie.
Tissage gerade mit automatique näher zu bestimmen,
hatte weitere Gründe. Gemeinhin und im Zusammenhang mit dem eben
Geschilderten - versteht man Automatisierung als Inbegriff und Resultat von
geistiger Rationalität und Logik.
Zum Begriff Automatismus gewendet, ergeben sich dazu ganz widersprüchliche
Perspektiven. In der Biologie und Psychologie beschreibt man damit Prozesse
und Aktivitäten, welche sich der mentalen Selbstkontrolle entziehen. Zum
Beginn des 20. Jahrhunderts begrüßten Dadaisten und Surrealisten
diese Phänomene als Befreiung aus den Restriktionen der Rationalität
und machten es spielerisch nutzbar als poetische Methode und kreative Strategie
(Bretons ecriture automatique).
Wir folgten ihnen: So hüpfte z.B. ein Frosch ins Bild und verschwand im
Schilf aus Metalllamellen, dem Detail eines modernen Webstuhls; durch den Maulbeerbaum,
der die Fassade der Kathedrale überwucherte, raste ein ICE bestehend nur
aus zwei Triebwaren und einem Bordrestaurant, der Grundriss des TGV-Bahnhofes
am Lyoner Flughafen erschien am Ende der Schau als insektenartiges Raumschiffmodell,
dem ein grüner Mann entstieg das französische Ampelmännchen.
Unerklärliches und Unerwartetes, Absurdes und Ironisches freut auch uns
als Gegenpart zu Eindeutigkeit und Stringenz und nicht zuletzt zu den Anforderungen
an eine fehler- und störungsfreie technische Realisierung. Großbildprojektoren
sind computergesteuerte Maschinen und bis zum heutigen Tag wenig geeignet für
Live-Zu- und Eingriffe - einer der Gründe, warum wir nach der Entscheidung
für eine Großbildprojektion das Thema Interaktivität nicht aufgreifen
wollten und uns geradezu auf das Gegenteil verlegten, die Vorproduktion einer
am Ende völlig automatisierten Schau: 10,5 Minuten Ereignis, nicht nur
visuell, sondern auch akustisch, synchronisiert zu einer thematisch passenden,
seriell-minimalistischen Musik von Steve Reich; vorgeführt als Loop während
4 Nächten.
Wie eingangs geschildert, wollten wir die Technik ein Stück weit selbst
zum Bedeutungsträger machen. Die Wahl und Zahl der Projektoren hing natürlich
zusätzlich von der Dimension der Projektionsfläche und dem verfügbaren
Budget ab. Höchstmögliche Effizient war gefragt.
Auf die formale Essenz des Tissage-Motives zurückgreifend,
wollten wir für die beiden Grundrichtungen der Weberei, Kette und Schuß,
je einen Projektor stellen. Einer sollte im Mindesten die vertikale Bewegung
können, der andere die horizontale.
Diese beiden Projektoren sollten zudem möglichst die gesamte Projektionsfläche,
die Westfassade der Kathedrale, ausleuchten. Das Maß von 35 x 44 Metern
und graubraune Farbe stellte durchaus ein gewisses Risiko dar. Dessen Minderung
erzielten wir abgesehen von konsequenter Abdunkelung der Umgebungsbeleuchtung
erfolgreich durch den Einsatz eines PANI der neuesten Generation, des
extrem lichtstarken GT 6KW, mit vertikal gestelltem ETC-Singlescroller für
einen Farbfilm. An zweiter Stelle stand ein PIGI 7KW mit rotierendem Doppelscroller,
der es uns erlaubte, doch mehr als nur die horizontale Bewegung zu spielen.
Er war ausschließlich mit Schwarz-Weiß-Filmen bestückt. Aus
Vorsicht wählten wir für ihn ein weniger weitwinkliges Objektiv, wodurch
er nicht ganz den oberen und unteren Rand der Projektionsfläche erreichte.
Beide zusammen wurden mit einem Rechner und der Software OnlyCue von ETC programmiert
und gesteuert.
Als dritter Projektor war eine Neuentwicklung von Cameleon im Einsatz, hinsichtlich
seiner Features Nachfolger des Telescan, jedoch im Gegensatz zu diesem kopfbewegt.
Um im Bild zu bleiben: die 2,5 KW LYRE spielte die Rolle des Schiffchens, aber
auch des mobileren, beweglicheren, das strengere Bewegungsraster ihrer großen
Brüder frech durchbrechenden Akteurs. Die Größe ihres runden
Projektionsfeldes limitierten wir auf einen Durchmesser von maximal 12 Metern,
zur Programmierung und Steuerung diente ein Lichtmischpult.
Ein zentraler Rechner verknüpfte die beiden Steuerungssystem durch Ausgabe
des Timecodes. Gleichzeitig versorgte er die Tonanlage mit dem 2-Kanal Stereo
Sound.
Während die Lautsprecher außen auf der mittleren Galerie der Kirchenfassade
und die Verstärker in einem Nebenraum der Kathedrale installiert waren,
hatten wir die gesamte Projektionstechnik inklusive Regie im zweiten Obergeschoss
eines der Kathedrale gegenüberstehenden Hauses untergebracht. Obwohl wir
der Concièrge nicht nur ein Quell purer Freude waren, barg diese Lösung
enorme Vorteile. Der Place Saint-Jean wurde durch keinerlei Gerüstbauten
beeinträchtigt und die Tage der Arbeit vor Ort im Warmen und vor allem
Trockenen verbringen zu können, erkannten wir spätestens seit den
sintflutartigen Regenfällen als wahren Luxus.
Übergreifendes Lichtdesign für Vieux Lyon
Der Place Saint-Jean liegt von außen nicht einsehbar im Altstadtquartier
Vieux Lyon. Der Baukörper der Kathedrale durchstößt allerdings
die Bebauung bis zur Uferpromenade der Saône. Wer von der anderen Seite,
dem heutigen Zentrum Lyons, herüberblickt, sieht als herausragende öffentliche
Bauwerke also Chor und Osttürme von Saint-Jean, auf der Anhöhe dahinter
die Basilika Fourvière, etwas weiter rechts den Palais de Justice.
Zunächst hatte uns die künstlerische Leitung die Zusatzaufgabe gegeben,
uns auch für die Ostseite der Kathedrale als von ferne sichtbaren
Wegweiser - etwas einfallen zu lassen. Etwas später trat man mit der Frage
an uns heran, ob wir nicht auch die Basilika Fourvière in unsere Überlegungen
einbeziehen könnten. Man war in den vergangenen Jahren nicht glücklich
gewesen über die von der städtischen Beleuchtungsabteilung selbst
entworfene Festbeleuchtung. Das Gespräch mit der Éclairage Public
führte zum Wunsch nach einer nochmaligen Erweiterung des Konzeptes um den
Palais de Justice. So entwarfen wir ein übergreifendes Beleuchtungskonzept,
dessen Farbigkeit den formalen Kern, einen die beiden Kirchen verbindenden Laserstrahl
(YAG), umspielte. Der Laserstrahl stellte - als Faden lesbar die Verbindung
zu unserem Hauptprojekt her. Von Fourvière herabkommend, endete er als
grüner Punkt auf der Giebelspitze von Saint-Jean, Ausgangspunkt auch des
ersten Motives unserer Schau, eines grünen Fadenkreuzes.
Die Nebenaufgabe hatte sich fast zum Zweitprojekt ausgewachsen. Zu unserer Erleichterung
erwies sich die Zusammenarbeit mit der Éclairage Public als sehr konstruktiv
und ihre Mitarbeiter übernahmen, abgesehen von der Laserinstallation, selbstverantwortlich
die technische Planung und Umsetzung.
Autorin: Sabine Weißinger