in: Brigitte Kultur
SH 1/2004, S. 6 ff
Wer
erweckt die Sphinx?
Fünfzehn ägyptische
Pfund - der Taxifahrer ist zufrieden mit dem Handel. Seltsam, diese Deutschen.
Lassen sich nachts von einem Ende Kairos zum anderen kutschieren. Mit Kabeln,
Koffern, Computern im Gepäck. Von Osten nach Westen, einmal um Pyramiden
und Sphinx. Saad, der Taxifahrer, erzählt ihnen, dass er in den Lehmhäusern
von Gizeh geboren sei. Ein Ur-Urenkel der Pharaonen, direkte Linie.
Dann schiebt er zu Ehren seiner Gäste eine Kassette mit dem deutschen Soundtrack
der legendären Son & Lumière- Schau in den Autorecorder.
Seit über 40 Jahren erhellt diese Lightshow das schwerste Rätsel der
Welt: Millionen Tonnen Stein, aufgeschichtet zu gigantischen Treppen in den
Himmel, bewacht von der Sphinx. 1961 begann das mysteriöse Mischwesen,
das bei den Ägyptern männlich ist, zu sprechen. In acht Sprachen.
Nacht für Nacht. Für ein Publikum, das mit Panoramablick auf das in
Farben getauchte Pyramidenplateau seinen Erklärungen lauscht. Und sich
für eine knappe Stunde in die Welt des alten Ägypten träumt.
Und so wird auch morgen wieder der Sonne erster Strahl mich grüßen.
Viel tausend Sonnen werd ich noch sehen!, brüllt das Löwenwesen
durch die Lautsprecher im Taxi. Scheppernd, aber verheißungsvoll. Im Land
der Pharaonen wird seit Jahrtausenden der Vergänglichkeit getrotzt. Mit
den Pyramiden, der Sphinx und Saads schwarzweißer Schrottkarre, die im
Stakkato über Schlaglöcher rumpelt. Sie befinden sich heute
Abend an einem der fantastischsten Plätze der Welt. Niemand bleibt unberührt
in seinem Herzen, wenn seine Wege ihn hier vorüberführen. Saad
überhört das Stöhnen auf der Rückbank, ruft stattdessen,
was in Ägypten jedes Kind beherrscht, das Mama sagen kann:
Merhaba. Und die Übersetzung gleich hinterher: Welcome
welcome to Egypt. Man tut, was man kann. Für eine Hand voll
Bakschisch. Manchmal auch das Falsche. Diese Kunden jedenfalls sind nicht begeistert
von Orchestergetöse und salbungsvollen Worten. Thank you so much,
but bitte, sagt einer, können wir nicht was anderes hören?
Please, anything else.
Die Geschichte der Pyramiden kennen die Gäste aus Germany. Tausendundeinmal
gehört, jedes Wort, rauf und runter. Auf Englisch, Französisch, Italienisch,
Spanisch, Japanisch, Russisch, Arabisch, Deutsch. Von Mitternacht bis zum Morgengrauen
arbeiten die Projektionskünstler Sabine Weißinger, Friedrich Förster
und ihr Casamagica-Team aus Tübingen auf der Ebene von Gizeh. Ihr Auftrag
von der ägyptischen Regierung: Erwecken Sie die Sphinx zum Leben. Während
der bombastische Soundtrack bleibt, wird die alte Lightshow aufgepeppt mit Laser
und bewegten Bildwelten, die sich auf der Front des Taltempels entfalten. Und
die Sphinx, Chronistin ihrer eigenen Geschichte, bekommt ein Gesicht aus Licht
und ein Pharaonen-Ornat aus Gold und Lapislazuli. Broadway auf Ägyptisch.
Die Verwandlungen der Casamagicer waren bisher ein kurzes Vergnügen: drei
Nächte lang das neue Wiener Museumsquartier; die zehnminütige Auferstehung
des verhüllten Bundestags in Berlin, der dank der Leuchtkraft der Projektoren
plötzlich wieder Fenster hatte und Türen, als hätte Christo nie
Hand angelegt; die einwöchige John-Malkovich-Projektion am Museum of Contemporary
Art Chicago. Eine flüchtige Kunst. Das neu gestaltete Wüsten- und
Ruinenspektakel von Gizeh jedoch wird jahrelang zu sehen sein. Motive aus dem
Fundus altägyptischer Kunst waren die Vorgabe. Casamagica gewann die weltweite
Ausschreibung. Nach einer Audienz beim Direktor der ägyptischen
Altertümer kam es zum Vertragsabschluss. Sabine Weißingers erster
Gang führte ins Ägyptische Institut der Tübinger Universität.
Sie besorgte Bücher und Folianten, lernte Dynastien und altägyptische
Geschichte. Dann das ägyptische Museum in Kairo, eine gigantische
Schatztruhe. Hier fotografierten die Lichtkünstler Details für
die weitere Bearbeitung im Atelier. Freistellen, Struktur und Farbe verändern,
verschiedene Elemente übereinander legen der größte Teil
der Arbeit fand am PC statt. Fertige Bilder wurden auf sechs Filme gebannt,
knapp 20 Zentimeter breit, 25 Meter lang.
Ein Hauch von Honig stiehlt sich in die dieselschwere Luft. Auf hohen Bürgersteigen
sitzen Männer, nehmen tiefe Züge aus Wasserpfeifen, inhalieren den
aromatisierten Tabak, halten Ausschau nach späten Touristen. Sotodo,
grüßt Sabine Weißinger die Uniformierten am Haupteingang zum
Pyramidenhof, einen Bildschirm im Arm. Die zahnlückigen Wachmänner
nicken, man kennt sich. Sotodo ist das Zauberwort für Lightshow.
Es öffnet Türen, denn Sotodo setzt Ägyptens Stolz
erst richtig in Szene.
Die alte Schau fängt gerade an: Nun, da sich der Vorhang der Nacht
von der Bühne hebt, kann das Spiel beginnen, das uns vom Drama einer Kultur
berichtet, orakelt die Sphinx, 4500 Jahre alter Wächter vor den Pyramiden.
20 Meter hoch, 57 Meter lang ins Hochplateau aus Kalkstein gehauen, verschliffenes
Gesicht. Wen würde es wundern, spräche die mythische Gestalt wirklich.
Liegt da mit erhobenem Haupt und ausgestreckten Tatzen, als beschütze sie
die Schatzkammer unserer Fantasie: Hier ist die Wiege von Wissenschaft und Kunst.
Hier stehen die berühmtesten Bauten der Welt, das einzig erhaltene Weltwunder
der Antike. Je nutzloser ein Kunstwerk im Diesseits, desto größer
seine Bedeutung für alle Ewigkeit, glaubte man im Alten Reich.
Der Mond ist zum Greifen nah, die Sterne scheinen tiefer zu hängen als
sonstwo. Kein Wunder, dass hier auch die Astrologie erfunden wurde. Unsere
Baustelle, sagen die Projektionskünstler: drei Quadratkilometer Sand,
sechs Millionen Steine für den Aufstieg in den Himmel. Ins Lichtland,
wie die alten Ägypter glaubten: Starben Könige, flogen sie empor.
Es ist halb zwölf, als die letzten Zuschauer endlich das Areal verlassen.
Wenn sie weg sind, beginnt für das Casamagica-Team die Nachtschicht, dann
arbeiten sie im Wettlauf mit der Zeit, bis morgens die aufgehende Sonne gegen
das künstliche Licht gewinnt.
Ein kühler Wind fegt die verlassenen Ränge entlang. Friedrich Förster
zieht sich einen Rolli über. Tische und Stühle werden geschleppt.
Fürs Regiepult direkt vor den Pyramiden. Daneben dröhnt die Lüftungsanlage
der Großbild-Diaprojektoren. Sieben Kilowatt, jeder 100 Kilo schwer, mit
einer Lichtkraft, 100-mal so stark wie ein Heimdiaprojektor und 100 000
Euro teurer. Kabel abrollen, Monitore aufstellen, Rechner einstöpseln,
Fire-Wire-Schnittstellen installieren, Licht- und Projektionsboard aufbauen.
Jemand bringt eine Batterie Cola-Dosen, Wegzehrung für die Nacht. Toon
Thellier aus den Niederlanden, der vor zehn Jahren die Lichtanlage installiert
hat, erzählt: Einmal seien die Archäologen mitten in der Nacht angerückt,
mit der big Schaufel, um nach Ton, Steinen, Scherben zu graben.
Aus wars. Zappenduster.
Sabine Weißinger hat am Regiepult Platz genommen. Wollt ihr das
Grün?, fragt sie. Cheops, Chephren und Mykerinos grün
gleißend am Nil. War da nicht die Theorie, die Pyramiden seien Markierungen
für Raumschiffe und Mischwesen wie die Sphinx Ergebnis gentechnischer
Manipulationen? Grün passt, finden die Casamagicer. Grün ist die Farbe
der Wiedergeburt. Die Sphinx schleudert erschreckend lebendige Blicke übers
Pyramidenareal. Unendlich und kalt. Kein Bild nach dem Geschmack der wilden
Hunde, die sich maulend aus dem Staub machen. Sabine Weißinger blättert
in ihrem Storyboard: Tutmoses IV., Pharao der 18. Dynastie, hat die Sphinx vom
Sand befreit, wurde König von Ober- und Unterägypten, Krönungszeremonie.
Programmierspezialist Peter Rezac aus Österreich schaltet die Projektionen
dazu: Auf dem Taltempel erscheint das antike Relief einer tobenden Menschenmenge.
Gemeinsam mit Friedrich Förster setzt er Timecodes, synchronisiert Bild
und Ton. Während Martin Bund, der Beleuchtungsmann, langsam die Scheinwerfer
angehen lässt, die auf die kolossalen Grabmäler gerichtet sind: Farbenorgie
für den erfolgreichen Pharao.
Hinter den Deutschen haben sich die Projektleiter der ägyptischen Partnerfirma,
Wael Gauda und Ayman Moussa, mit ein paar Nachtwächtern versammelt. Man
lässt die Künstler nicht aus den Augen, die Pyramiden sind heilig,
da darf nicht jeder ran. Stein für Stein von tausenden von Ahnen geklopft,
30 Jahre lang. 146 Meter hoch die Cheopspyramide, 143 Meter Chephren und weiter
draußen in der Wüste Mykerinos mit 66 Metern. Von Norden nach Süden
aufgereiht wie die Prunkstücke einer Perlenkette.
Lichtzauberer sein im Reich der Pharaonen als Zuschauer kommt man ins
Schwärmen: Bilder, die auftauchen aus dem Nichts, prosaisches Spiel mit
der Flüchtigkeit des Lichts, gestaltete Illusion. Aber als studierte Kunstgeschichtlerin
und Religionswissenschaftlerin bezeichnet Sabine Weißinger den Pyramiden-Auftrag
nüchtern als bewegte Illustration. Auch Partner Friedrich Förster,
ursprünglich Neurobiologe, dann umgestiegen auf künstlerische Lasertechnik,
sieht seine Arbeit sachlich: Er nimmt das Fernglas. Die Maske auf der Sphinx
ist nach links verrutscht, muss justiert werden. Keine Zeit für Illusionen.
Auf zwei Pyramiden fehlt das Blau, und bei Chepren funktioniert kein Rot. Die
Scheinwerferanlage bei den Projektoren vor Ort, vermutet Toon Thellier, während
er in einem Bündel von Gebrauchsanleitungen kramt.
Mit einem Pick-up lässt er sich gegen ein Uhr nachts hoch aufs Plateau
fahren. Hagere Männer in blauen Uniformen mit silberblank geputzten Knöpfen
campieren auf den Granit- und Kalksteinblöcken, jeder über zwei Tonnen
schwer. Sie passen auf, dass kein Nachtschwärmer die Pyramiden erklimmt,
eine fremde Flagge hisst, sich in selbstmörderischer Absicht herabstürzt
oder einfach dem Himmel näher sein will. Alles schon vorgekommen. Toon
kennen sie er hat den ägyptischen Heiligtümern das Licht gebracht.
Jetzt inspiziert er die Anlage, 75 Farblampen, aufgereiht wie Bienenwaben. Mit
seinem Walkie-Talkie hält er Kontakt zum Regie-Team. Probiert mal
Blau, dann Grün, dann Rot. Hier sitzt ein falscher Filter, dort ist
eine Lampe ausgefallen. Unten am Pult reagiert man nervös, für jeden
neuen Lichtcheck muss die Programmierung unterbrochen werden.
Die ägyptischen Polizeiwachen haben ein Feuer angezündet. Mit Holzstöckchen
im einem kaputten Blecheimer machen sie Wasser heiß für süßen
Tee mit Minze. Es ist ruhig geworden, die Autohupen sind verstummt. Wüstenstill
und windig, rundherum nur Ewigkeit. Was haben diese Steine gesehen in den vergangenen
Jahrtausenden? Die ganze Welt fürchtet die Zeit, aber die Zeit fürchtet
die Pyramiden, sagt ein ägyptisches Sprichwort.
Die Steine schweigen. Sie erzählen nicht von den Mamelucken, die sie als
Zielscheibe für Schießübungen benutzten. Verraten nichts von
Napoleon, dessen Wissenschaftler die Gräber plünderten. Hüten
ihr Geheimnis. Auch unten bei den Projektoren ist es jetzt still. Die Crew arbeitet
konzentriert, fährt Bilder und Ton vor und zurück. Auf dem Taltempel
gleitet der Sonnengott auf einer Gondel einher; der schakalköpfige Anubis
beugt sich über einen toten Pharao; Nofretete, die langsam ihren Schleier
lüftet. Der Sphinx wird das Gesicht von Pharao Chephren übers lädierte
Antlitz projiziert. Wie von Zauberhand gemalt erscheinen die Projektionen. Figuren,
für einen Moment dem Tod entrissen, beseelt durch das Licht.
Klagelieder um einen verblichenen Pharao schallen aus dem Off. Langsam zieht
das Bild einer Totenbarke über die Steine des Taltempels. Die Sphinx, der
Wüstensand über Kopf und Rücken regnet, spricht: Auch
schwere Zeiten habe ich erlebt. Verloren war es, Alt-Ägypten! Zur Gänze
fast hat mich der Sand begraben. All unsere Weisheit, unser Denken, auf tausend
Papyrusrollen festgehalten, war mitgenommen in die Gräber, verstummt.
Unter Pauken und Trompeten das Finale. Das Sphinx-Gesicht schwebt körperlos,
beschwört vielstimmig den Nil als Lebensspender und Schöpfer des Weltwunders.
Ein Schwarm Regenpfeifer fliegt durch die Lichtkegel der Projektoren. Wie Sternschnuppen.
Ihr gellender Ruf, den die Ägypter mit Alles für Allah
übersetzen, verhallt hinter Akazien. Es antwortet der Muezzin, ein paar
Hunde fallen ein.
Morgens halb fünf. Der Tag graut, und alle Gläubigen werden zum Gebet
gerufen. Die Casamagicer sind müde, doch Friedrich Förster zückt
die Kamera: Ehe die Sonne aufgeht legt sie den Pyramiden einen Heiligenschein
über die Spitze, dann grüßt sie die Sphinx von Osten, zeichnet
flirrende Schatten ins verwitterte Kalkstein-Gesicht. Morgen um Morgen
sehe ich den Sonnengott emporsteigen vom jenseitigen Ufer des Nils, verkündet
ihre Soundtrack-Stimme. Vergänglich sind der Menschen Werke, doch
ewig ist der Geist, der diese Zeichen schuf. Der Menschen Werke, nie sind
sie schöner als in diesem Moment: wenn im milchigen Morgenlicht die Grenzen
zwischen Himmel und Erde verschwimmen und die Pyramiden zu Sonnenstrahlen aus
Stein werden. Wenn der Moment zeitlos scheint und die Arbeit der Lichtkünstler
eingeht in die Mühen der Jahrtausende. An diesem eintönigen Wüstenort,
wo man Steine schleppte für Visionen und göttliche Gnade. Oder magische
Lichtbilder zeichnete in die Nacht.
Autorin: Marianne Mösle